2. Kirchliche Entwicklung in Barmbek
Seit der Frankenkaiser Ludwig der Fromme 831 die Grenzfeste Hammaburg zum Sitz eines Erzbistums erkor, sollte von hier aus mit Ansgar als erstem Leiter das Christentum nach Norden getragen werden. Wenn auch der Amtssitz bald nach Bremen verlegt wurde, war doch Hamburg der Ausgangsort der Mission und führte zum räumlich größten Sprengel der Christenheit über Skandinavien bis Grönland. Erst Anfang des 12. Jahrhunderts, genau 1104, wurden die nordischen Länder eigene Bistümer. Und in der Nachbarschaft dieses geistlichen Kraftzentrums blieb Barmbek ohne Kirche.
Wir wissen, dass bis in den Dreißigjährigen Krieg die Barmbeker zu St. Jacobi einqepfarrt waren. Den dortigen Gemeindegliedern, die vorwiegend Handwerker und Kaufleute waren und enge Beziehungen zu Lübeck pflegten, waren die Barmbeker Bauernfamilien natürlich wenig beachtete Fremdlinge. Die weite Entfernung bei den schlechten Wegverhältnissen taten das ihre, dass eine kirchliche Gesinnung kaum aufkommen konnte.
1629 fand eine Umgemeindung an die nur wenig näher gelegene Kirche zu St. Georg statt, in ihrer Nähe wurden bis zur Anlage des Hauptbahnhofes die Toten bestattet. Ab 1885 mussten die Barmbeker die St.-Gertrud-Kirche in Hohenfelde als ihre Gemeindekirche besuchen. Ein kirchliches Gemeindeleben war also immer noch nicht zu erwarten. Es ist kaum glaublich, aber leider Tatsache: Die älteste Barmbeker Kirche, aber erst im Jahre 1900 erbaut, war die katholische Kirche St. Sophie an der EIsastraße. Es folgte endlich 1903 die Weihe der ersten evangelischen Kirche im Zentrum des ehemaligen Dorfes; sie wurde in Erinnerung an die frühere wirtschaftliche Zugehörigkeit zum Heiligengeisthospital „Heiliqenqeist-Kirche" genannt.
Nord-Barmbek folgte zuletzt. Von einem Pastorat in der Steilshooper Straße 63 aus wurde der Nordbezirk seit 1901 betreut, es war die von der Synode bewilligte vierte Pfarrstelle, die von Pastor Max Steffen verwaltet wurde. Er stammte aus einem Altonaer Lehrerhaus und war vorher Pastor zu Lunden in Norderdithmarschen.
Der Barmbeker Kirchenvorstand hielt aber den Bau einer eigenen Kirche in Nord-Barmbek für notwendig. Zum April des Vorjahres war die Barmbeker Bevölkerung auf 90.448 gezählt worden, wovon rund 20.000 auf Nord-Barmbek entfielen. Das Statistische Amt schätzte die Volkszahl für 1932 voraus auf 76.000.
Es ist außerordentlich reizvoll, in die Zeit der letzten Monate vor dem Ersten Weltkrieg zu blicken, in die Zeit, wo die Idee zur heutigen Auferstehungskirche und zum heutigen Gemeindezentrum entstand. Der damalige Kirchenvorstand erstrebte nicht nur einen Kirchbau, sondern einen "Gruppenbau", in Hamburg etwas Neues, aber sowohl von der katholischen wie der evangelischen Kirche anderswo, besonders in der Diaspora, häufig ausgeführt.
Mit der Angliederung eines Gemeindehauses, mit der Schaffung von Versammlungsräumen, größere für außergottesdienstliche Vorträge, kleinere für die Jugendpflege, beabsichtigte man die Gemeindebildung zu fördern. „Das Gemeindehaus hat für die Gemeindebildung nahezu denselben Wert wie die Kirche selbst." Die Jugendarbeit lag damals besonders im Argen. Warteschule und Krippe, wie man es damals nannte, fehlten. Damit die jungen Leute „vom Besuch der öffentlichen Lokale und Kinos und von der Straße ferngehalten werden", wurden in den Räumen der „Produktion" für die sozialdemokratische Jugendpflege reichlich ausgestattete Versammlungsräume bereitgestellt. Nur die Landeskirche rührte sich nicht.
Nachdem zunächst eine Fläche nahe dem Bahnhof an der Drosselstraße ausersehen war, stellte die Finanzdeputation das 4.260 qm große Grundstück an Tieloh und Hellbrookstraße zur Verfügung (30. Juni 1913). Der Bauausschuss des Kirchenvor-standes beauftragte vier Architekten, für die Gebäudegruppe „rechtzeitig und vollständig" Pläne anzufertigen. Das bewilligte Honorar betrug jeweils 500 Mark.
Für die Kirche bestand die beachtenswert schöne Forderung: „Es wird mehr Wert auf die Erzielung einer guten Predigtkirche, als auf Einhaltung der überlieferten Form des Kirchenbaues gelegt." Das Preisgericht bestand aus keinem geringeren als dem Baudirektor Prof. Schumacher, dem Architekten E. Meerwein, einem der Rat-häuserbauer, dem Bauinspektor Hellweg, Pastor Steffen und
R. Kirsten, dem Vorsitzenden der Beede. Wegen der einheitlichen künstlerischen Wirkung wurde der Plan des erst 33jährigen Architekten Camillo Günther einstimmig angenommen.
Camillo Günther löste das Problem der Raumanordnung so, dass er die Kirche als das beherrschende Bauelement an die Straßenkreuzung Tieloh - Hellbrookstraße setzte und das Gemein-dehaus mit seinem Steilgiebel an den Tieloh. Beide Gebäude sollten durch die etwas zurückliegenden zwei Pastorate miteinander verbunden werden, so dass ein einheitlicher kirchlicher Bauhof entstand.
Der Turm der Kirche, so hieß es in dem Bauausschreiben, sei nicht nur für Glocken und Uhr da, er solle vielmehr das Wahrzeichen der Kirche sein, Deshalb brauche er nicht hoch zu sein, sondern wirkungsvoll durch die Masse. Wegen der Nähe des hohen Schulbaues war das eine weise Bedingung, da ein überschlanker Turm etwa gotischen Stils sich architektonisch schlecht ausgenommen hätte, außerdem auch geldlich nicht ausführbar gewesen wäre. So wurde unser schöner geduckter Turm mit der Laterne im barocken Stil über der etwas überspitzten Kuppel geschaffen, während das Gemeindehaus nunmehr sehr schön mit seinem hohen Giebel die Verbindung zu der überhohen Doppelschule am Tieloh herstellt.
Es herrschte große Freude, es konnte beginnen. In der Eingabe vom 28. August 1913 hieß es: „Dem hochwürdigen Kirchenrat richtet der Kirchenvorstand der Gemeinde Barmbek die ergebene Bitte, bei der Synode eine erste Rate von 100.000 Mark für Kirche und Gemeindehaus beantragen zu wollen.“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Keine drei Wochen später kam sie: „dass zur Zeit von der Bewilligung der erbetenen Summe selbstverständlich keine Rede sein könne." In den ersten Januartagen 1914 wurde abermals beraten, Ergebnis: Zurück-stellung bis 1915.
Die Barmbeker fanden dann einen klugen, warmherzigen und energischen Fürsprecher, Senior D. Grimm. Als Vorsitzender einer Kommission prüfte und besprach er eingehend die kirchlichen Verhältnisse Barmbeks und kam zum Ergebnis, dass die „Teilung der Gemeinde in zwei selbständige Sondergemeinden nicht mehr lange zu umgehen" sei. „Angesichts der Armut und des geringen kirchlichen Interesses" konnte die Gemeinde die Mittel nicht durch eine vom Kirchenrat empfohlene private Sammlung aufbringen. Auch die grundsätzlichen Bedenken gegen den Gemeindesaal wusste Grimm zu zerstreuen. Der Architekt Meerwein wurde noch einmal als Gutachter beansprucht. „Überhaupt fühlt sich Nord-Barmbek mit seinen 25.000 Einwohnern infolge seiner wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr als Bestandteil von Alt-Barmbek und darum auch kaum als Glied der Heiligengeistgemeinde." Nach Grimm umfasst Barmbek „etwa den zehnten Teil unserer lutherischen Kirche und hat eine einzige kleine Kirche."
Es war tatsächlich so: Hier wohnten 1914 108.056 Gemeindeglieder; zur gleichen Zeit umfasste der Bezirk der Hauptkirchen St. Petri 6.355 und St. Nikolai 6.391 Seelen. Nur St. Katharinen sammelte vor der Sanierung der östlichen Altstadt 66.546 Gemeindeglieder.
Zwei Vorstöße führten endlich zum Erfolg: Ein Flugblatt brachte 1.292 Unterschriften; zum anderen: Man suchte trotz des inzwischen ausgebrochenen Krieges nach Arbeitsbeschaffung. Die Synode vom 21. September 1915 bewilligte unter Vorsitz seiner Magnifizenz des Bürgermeisters Dr. Dr. Schröder die Summe von 205.000 Mark in drei Raten. „Da von keiner Seite das Wort gewünscht wird, stellt der Herr Vorsitzende fest, dass die Synode mit der Zahlung vorgenannter Beträge aus der Kirchenhauptkasse einverstanden sei."
Dies Hindernis war beseitigt, ein anderes tauchte auf: Der junge Architekt war gesund und truppendienstpflichtig. Die Militärkommission des Senats ließ Camillo Günther einige Zeit reklamieren. Der Bau konnte beginnen.